Uri von aussen gesehen
Folgende Porträts sind in der
Neuen Urner Zeitung erschienen:
«Schüler aus Uri – gute Köpfe!»
Der ehemalige Germanistik-Professor Peter von Matt kennt Uri, die Leute und deren Vorlieben. Der Nidwaldner findet Gefallen an Uris trotziger Moderne.
Helen Busslinger-Simmen
In welcher Beziehung steht Nidwalden zum Kanton Uri?
Peter von Matt: Zwischen den Urschweizer Kantonen gibt es ein Grundgefühl der Zusammengehörigkeit, unaufdringlich, aber spürbar. Das habe ich
auch gegenüber Uri schon als Kind erlebt, obwohl dieser Kanton durch den See von Nidwalden so abgetrennt war, dass man nur schwer dort hinkam –
mit Ausnahme von Seelisberg, das eigentlich mehr zu Nidwalden gehört als zu Uri. Aber die Urner haben eben überall den Fuss über die natürlichen
geografischen Grenzen hinaus gesetzt: beim Surenen- und beim Klausenpass und auch unter dem Niederbauen. Die Tessiner konnten ebenfalls
jahrhundertelang ein Lied davon singen.
Was bedeutete oder bedeutet Ihnen der Gotthardkanton?
von Matt: Mit dem Seelisbergtunnel rückte Uri nah an Nidwalden heran, aber da lebte ich schon in Zürich. Ich fahre allerdings noch oft in meine alte Heimat,
nach Stans und Buochs, und gehe immer auch gern in die Urner Berge. Neben meinem Arbeitstisch liegt ein kleiner Stein vom Gipfel des Urirotstocks.
In Altdorf habe ich ein paar Mal aus meinen Büchern gelesen, es war immer sehr herzlich und vergnügt. In meiner Jugend, als ich mich für die Künste
zu interessieren begann, war Heinrich Danioth für mich sehr wichtig. Wie Meinrad Inglin als Erzähler, so verkörperte Danioth als Maler den Geist der
Urschweiz. Wenn ich in Flüelen bin, stehle ich mich jedes Mal rasch in den Saal des Bahnhofs mit dem grossen Fresko Föhnwacht, auf dem es so
wunderbar erotisch funkt zwischen der jungen Frau und dem jungen Mann.
Wie stark ist Ihre Bindung zu Uri?
von Matt: Ich habe Verwandte in Uri. In Altdorf gab es die Papeterie und Buchhandlung von Matt, die ein Ableger des Stammhauses in Stans war, und von
wo ein weiterer Ableger in Zürich gegründet wurde, die Buchhandlung Dr. Hansjakob von Matt. Ich war immer mit allen diesen Verwandten gut bekannt.
Von der heutigen Urner Prominenz steht mir vor allem Yvonne Slongo nahe, die Leiterin des Amtes für Berufsbildung und Mittelschulen. Sie ist nämlich
meine Nichte und hat auch bei mir studiert. Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Schüler von mir im Kanton – gute Köpfe!
Welchen Stellenwert geben Sie Uri in kultureller Hinsicht?
von Matt: Die Innerschweiz war immer eine kulturell lebendige und kurzweilige Landschaft, wobei die bildende Kunst in der Regel die grössere Rolle
spielte als die Literatur. Das hängt mit der barocken Tradition zusammen, die über die Augen und Ohren an die Menschen herangeht, mehr als über das
Lesen. Auch das Theater lebt aus diesem Grunde so stark in Uri. Was dröhnt und singt und klingt und kesselt, das findet hier sein Publikum. Viel wichtiger
als Romane waren stets die historischen und volkskundlichen Arbeiten. Da hat der Kanton Uri wirklich Bedeutendes hervorgebracht, bis heute. Ich denke
etwa an die Arbeit der Staatsarchivare und ihres Umfelds. Die gesammelten Urner Sagen von Josef Müller sind ein Schatz, von dem ich vielfach gezehrt
habe in meiner eigenen Arbeit. Auch der Visionär Eduard Renner war von ihnen geprägt.
Gibt es auch eine jüngere Schreibtradition?
von Matt: Literarisch geschrieben wird auch, energisch und trotzig, wie etwa von Martin Stadler. Und ich weiss, dass es produktive jüngere Autorinnen
und Autoren gibt. In der Verbindung von Wissenschaft und Kunst hat sich das vielseitige Werk von Karl Iten entwickelt.
Wie sehen Sie die Entwicklung der Landwirtschaft?
von Matt: Die Alpen sind bedroht. Da darf man sich keine Illusionen machen. Ihre Zerstörung schreitet voran. Immer mehr werden sie als Fun-Park
betrachtet und brutal ausgebeutet. Die Bergbauern, die selber davon bedroht werden, haben hier eine wichtige Aufgabe. Wer ihnen hilft, tut etwas
gegen die Ausbeutung der Berge.
Wie denken Sie über die ländliche Jugend?
von Matt: Stadt und Land sind heute längst nicht mehr so absolut getrennt wie einst. Das Internet ist zum Dorfplatz der Welt geworden, auf dem sich
alle tummeln. Die Jungen hören überall die gleiche Musik, tragen die gleichen Kleider, müssen sich den gleichen Drogen gegenüber zu verhalten wissen.
Diese Moderne muss nicht bekämpft, sondern verknüpft werden mit den eigenen Traditionen. Man kennt und schätzt das Eigene nur, wenn man weiss,
was in der weiten Welt passiert. Solche Begegnungen ereignen sich zum Beispiel etwa bei den Altdorfer Alpentönen.