Der Basler Schriftsteller, Journalist und Alpenkenner Aurel Schmidt stellt in Uri tief greifende Veränderungen fest. Er sieht den Kanton an der
Spitze der Entwicklung.
Helen Busslinger-Simmen
Wo liegt für einen Basler der Kanton Uri?
Aurel Schmidt: Aus der Basler Perspektive liegt «Üri» mit dem schönen, singenden Ü in der geografischen Mitte der Schweiz, obwohl den Urnern manchmal
das Gefühl gegeben wird, «z’Üri hinnä» zu leben. Was aber «hinten» heisst, müssen Sie einem Basler, der ja am Rand der Schweiz lebt und für den die
so genannten Ausländer Nachbarn sind, zuerst noch erklären.
Vom Rand der Schweiz aus kamen Sie eines Tages ins Maderanertal.
Schmidt: Ich hatte das Glück, Anton Tresch zu treffen, der in einem «Krachen» lebte, seine Ziegen hütete, den Lawinen trotzte und mir seine
Lebensgeschichte erzählte. Ich sah in ihm ein lebendiges Beispiel für Eduard Renners Buch «Goldener Ring über Uri».
Stellen Sie in Uri Veränderungen fest?
Schmidt: In der Vergangenheit war Uri im Unterschied zu den protestantischen und industriellen Kantonen ein armes Land, das vom Durchgangsverkehr
und von eigenen Erzeugnissen lebte. Das ändert sich heute sehr rasch. Samih Sawiris pflügt Andermatt in ein Resort für die Reichen der Welt um.
Ist Uri also im Umbruch?
Schmidt: Als siebtgünstigster Steuerkanton hat der Kanton Uri vorteilhafte Konditionen für seine Zukunft geschaffen; trotzdem bleibt der so
genannte Steuerwettbewerb der Pferdefuss des Föderalismus. Der Kanton erlebt im Moment einen beispiellosen Umbruch, so wie das Wetter in den
Tälern in Minutenschnelle umschlagen kann. Uri steht nicht mehr in einem nebulösen Hinterland, sondern plötzlich weit vorne, an der Spitze der Entwicklung.
War nicht Uri schon früher tief greifenden Wandlungen unterworfen?
Schmidt: Als die Eisenbahn 1882 und die Autobahn A 2 1980 in Betrieb genommen wurden, änderte sich die Situation tatsächlich tief greifend. Uri wurde
zum Tunnel- und Transitkanton, der in zwanzig Minuten von einem zum andern Ende durchquert ist. Mit der Neat wird das noch schneller der Fall sein.
Manchmal kommt es mir vor, als habe die Schweiz den Kanton Uri dem Verkehr und der Beschleunigung geopfert.
Gleichen sich in der Schweiz die Stadt-Land-Unterschiede langsam an?
Schmidt: Die frühere so ungemein interessante Vielfalt ist heute weit gehend egalisiert. Es gibt kein hinten und keine Ränder mehr, die Schweiz ist überall
die gleiche. Das Fernsehen ist das Lagerfeuer, um das sich die Schweizer versammeln. Wir wissen nicht nur, was im eigenen Land geschieht, auch
der Hindukusch und das Bild von syrischen Städten sind in die Wohnstuben zwischen Sisikon und Hospental eingedrungen.