Uri von aussen gesehen
Folgende Porträts sind in der
Neuen Urner Zeitung erschienen:
«Freunde, Wilhelm Tell hat nie gelebt!»
Für Frank Baumann ist Wilhelm Tell lediglich ein Marketing-Gag. Trotzdem mag er Uri – auch wenn er sich beim Angeln am Urnersee ziemlich langweilte.
Helen Busslinger-Simmen
Frank Baumann, wann waren Sie das letzte Mal im Kanton Uri?
Frank Baumann: Vor vier Jahren war ich angeln am Urnersee für meine Fernsehsendung «Ein Fisch für 2». Ich machte die Sendung fürs ZDF,
sie wurde dann prompt für den Adolf-Grimme-Preis nominiert – vermutlich wegen des einmalig schönen Urnerlands.
Und? Wie war das Angeln?
Baumann: Wir sassen auf einer dieser wahnsinnigen Kiesförderinseln und versuchten, Trüschen an die Angel zu kriegen. Die sind scheu wie nur etwas.
Es war schön am Wasser – aber auch ziemlich langweilig. DJ Bobo, der mich begleitete, nagte dann irgendwann an einem Nussgipfel – und ich
an einem Wurm. Die Aussicht war hingegen atemberaubend. Und in aller Herrgottsfrühe hat es ja auch noch keine Surfer, die einem um die Ohren brettern.
Welche Urner lernten Sie kennen?
Baumann: Ich war beim schwärzesten Urner der Welt zu Besuch, bei Urs Althaus in Flüelen. Der wohnt ja wirklich direkt am See, irgendwie in
einem umfunktionierten Hotel oder so (die Apertura, Anm. der Red.). Prima Lage. Und kopfschmerzmässig ist es ja nicht so wild, wie Max Frisch in
seinem Buch «Wilhelm Tell für die Schule» beschreibt. Es sei denn, man bekommt – wie Urs Althaus – eins auf die Nase gebraten.
Hörten Sie von Urs Althaus etwas von Fremdenhass in Uri?
Baumann: So eine Form von Ausländerhass, wie Urs Althaus sie bei einem heimtückischen Überfall erlebte, scheint eine Ausnahme zu sein. Jedenfalls
ging es Urs schon als «schwarzes Kind» sehr gut. Er war in der Jungwacht, machte brav eine KV-Lehre, kam nach einem Mini-Auftritt im hiesigen
Sportgeschäft zu Inter-Sport und wurde nach New York geschickt. In den Staaten machte er als Schauspieler und Model eine rasante Karriere, bis er
zu seinen Wurzeln zurückkehrte. Bezüglich Fremdenhass: Seit den Vorfällen um den Kollegen Gessler ist ja doch auch schon ziemlich viel Wasser den
Rhein hinunter und um die Tellsplatte herum geflossen. Mich dünkt, die Tellsplatte sei ein Marketing-Gag.
Glauben Sie denn etwa nicht an den Tellsprung?
Baumann: Das glaubt doch keiner: Ein verhaltensauffälliger Amokschütze mit mittelschwerem ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung,
Anm. der Red.) springt bei stürmischer See von einem kippenden Boot aus ans rettende Ufer. Jeder Windsurfer weiss, dass das nicht machbar ist.
Damals glaubte man dem deutschen Schriftsteller Friedrich Schiller – etwas, was heute weniger passiert. Friedrich Schiller war es, der frech behauptete,
dass Tell gelebt habe. Freunde, Tell hat nie gelebt! Mehr noch, der Wilhelm Tell, der uns Schiller schmackhaft machen wollte, ist geklaut. Geklaut vom
dänischen Geistlichen Saxo Grammaticus. Doch das ist wieder eine andere Geschichte.
Finden Sie nicht, Friedrich Schillers Drama sei ein Stück, das sich gut aufführen lässt?
Baumann: Motzen gegen Schiller darf man nur hinter vorgehaltener Hand. Denn schliesslich operiert man mit derlei Behauptungen am offenen Herzen
der Urner. Die wachsen ja buchstäblich mitten in diesem Drama auf. Nein, nicht dass es die Vögte mit Migrationshintergrund wären, die ins tägliche
Leben eingreifen würden. Es sind die wunderbaren Tell-Festspiele, in denen die Urschweizer von Kindesbeinen an eine Rolle spielen, die sie ihrer
Lebtag nicht mehr vergessen – literarische Muttermilch sozusagen.
Der Kanton Uri ist ja auch ohne Tell interessant.
Baumann: Ja, der Kanton Uri ist auch ohne faustdicke Marketinglügen prima – ein wunderbares Erholungsgebiet: bescheiden freundliche Menschen
sowie Kultur und Natur pur. Mit Wiesen und Wäldern und jeder Menge Wasser. Berge mit Pulver zum Verpulvern. Zuhinterst im Krachen, dort, wo
die «Gebirgsfüsel» rumwuselten und Karl Gamma die Skilehrer schliff, wird ein Ferienort von internationaler Qualität entstehen. Eines, das sich
gewaschen hat. Und der Rhein wird neu Nil heissen. «Ex nihilo nihil fit»: Von nix kommt nix, wie der Lateiner sagt. So gesehen wäre ein bisschen
professionelles Standortmarketing vielleicht nicht wirklich falsch.