In Uri heimisch geworden

Folgende Porträts sind in der
Neuen Urner Zeitung erschienen:
Jörg Annen

Mich faszinieren Land und Leute

Neben ausgewanderten Urnerinnen und Urnern gibt es nicht wenige Auswärtige, die hierher ziehen und nicht mehr weg wollen. Der Altdorfer Tierarzt Jörg Annen ist einer von ihnen.

Helen Busslinger-Simmen
Jörg Annen ist ein Zugewanderter und hat in Altdorf seine Wahlheimat gefunden. Am 1. Mai im Jahr 1982 eröffnete er in Altdorf eine Tierarzt-Praxis. Er ist geblieben. Einerseits wegen der Nähe zur Natur, wegen der einmaligen Bergwelt, dem See, den romantischen Bergtälern. Andererseits blieb er, weil ihm die Offenheit, Toleranz und Humor der Urnerinnen und Urner gefallen. Nicht zuletzt wollte er, der als Kind oft mit den Eltern den Wohnort gewechselt hat, seinen zwei Söhnen die Möglichkeit geben, hier Heimat zu finden.

Zu eng in der Stadt

Annen hat an der Universität Zürich studiert und konnte zunehmend auch in der Forschung mitarbeiten. Dank einem Stipendium reiste er in fremde Länder: Er arbeitete in Afghanistan und Australien und erlebte die Weite der Wüste. Als er nach Zürich zurückkehrte, fühlte er sich eingeengt, er bekam Platzangst. Mit Schrecken stellte er fest, wie überbaut diese Region ist: „Da gab es für mich zu wenig Weite, zu wenig Rückzugsmöglichkeiten, zu viel Hektik.“

In der Stadt vermisste Annen das sinnliche Erlebnis der Jahreszeiten. Schon als Student hatte er mitten in Zürich einen Gemüsegarten angelegt, denn ohne Kontakt mit Pflanzen und Tieren fehlte ihm etwas Wichtiges. Kurzerhand nahm er eine Landkarte und steckte Nadeln dorthin, wo „Dorf und Land“ nahe beieinander sind. Als sich in Altdorf die Gelegenheit bot, als Tierarzt zu arbeiten, war sein Entschluss rasch gefällt. „Bereut habe ich es nie“, freut er sich.

Mit offenen Augen und Ohren

Am Anfang arbeitete Annen mit zwei Kollegen auch in einer Grosstierpraxis und war bei jeder Tages- und Nachtzeit als Tierarzt unterwegs. Dabei lernte er Land und Leute besser kennen. Aber nicht nur die Fahrten zu den Bauernhöfen eröffneten ihm neue Welten und einen andern Einblick in das Wesen des Urners. Annen: „Als ich nach den Stallbesuchen oft spät abends in der Beiz ein Bier trank, traf ich junge Leute, die mir durch ihre offene Haltung und der Lust am Verändern auffielen. Nicht zuletzt dank der alternativen Szene von damals hat sich Uri zu einem fortschrittlichen Gemeinwesen entwickelt.“

Annen gefällt der Urner Dialekt, der Wortwitz, der besondere Humor: „Mir gefallen die speziellen. Wortschöpfungen. Als Zugezogener muss ich nicht alles begreifen wollen.“ Zum Beispiel blieb ihm bis heute das innere Wesen der Fasnacht fremd. „Aber ich komme schon noch dahinter“, sagt er.

Sinn für Ästhetik

Annen ist der Ansicht, viele Urnerinnen und Urner hätten ein Gespür für Ästhetik und den Mut, Neues zu schaffen und altes zu erhalten. Er freut sich über moderne Bauten im Dorfkern, wo er seine Kleintierpraxis führt. Und er bewundert Toni Gisler im Winkel, der mit Sorgfalt und Ausdauer seine alten Natursteinmauern flickt. Annen gefällt alles, was echt ist, aber auch das leicht Verschrobene. „Ich entspreche auch nicht immer der Norm“, meint er. Nahe bei seiner Praxis ist sein Lieblingsort, das Café „Central“. Hier geniesst er am Sonntagmorgen den Blick aufs Rathaus und das schon fast südländische Leben und Treiben vor dem Telldenkmal.

„Ich sehe gern, wenn jemand Freude am Schönen hat und sich Zeit nimmt dafür“, bemerkt Annen. Als Mitglied des katholischen Kirchenrates, der für Liegenschaften zuständig ist, kann er seine Liebe zum historischen Altdorf ausleben. Auch der einmalig gelegene Friedhof ist ihm ein Anliegen. Dass sich Annen ärgern kann, wenn lieblos mit Bauten oder der Landschaft umgegangen wird, ist klar: „Ich ärgere mich über das, was in meinen Augen schief läuft. Vor allem dann, wenn zu wenig weitsichtig geplant wird.“ Er identifiziere sich eben voll und ganz mit seiner „hier gefundenen Heimat.“