Pionier wirkt gegen Abwanderung in Uri
Der gebürtige Altdorfer Emanuel Müller hat das Projekt „Brain Drain – Brain Gain“ initiiert, das sich mit der Abwanderung im
Kanton Uri befasst. Als „Exil-Urner“ war es ihm ein Anliegen, dass etwas in Gang gebracht wird.
Helen Busslinger-Simmen
Er gehörte zu den „jungen Wilden“, die in den 60er Jahren die Zeitschrift „Alternative“ gründeten und sagt dazu: „Sicher, wir waren aufmüpfig, doch das ist ja
das Privileg von Zwanzigjährigen. Es gefiel uns, im Kanton etwas aufzumischen“. Er hat nicht nur für die „Alternative“ geschrieben, sondern war zehn Jahre
lang als Journalist für verschiedene Zeitungen tätig. Unter anderem gab er zusammen mit Reto Gamma das Buch „Hochspannung“ heraus, in dem
beschrieben ist, wie die Urschner gegen einen Stausee kämpften und die Göscheneralp untergehen musste. Das Mundartstück „Stausee“, das er zusammen
mit Roland Humair verfasste, wurde am Luzerner Stadttheater aufgeführt.
Trotz starker Bindung weggezogen
Müller ist ein „Exil-Urner“, der in Luzern lebt, aber gern die Urner Berge geniesst. Der Kanton Uri hat ihn nie los gelassen. Längst hat er das Studium der
Pädagogik abgeschlossen und ist heute Projektleiter und Dozent an der Hochschule für Soziale Arbeit HSA in Luzern. Von hier aus hat er einen magischen
Blick in die Berge, und vor dem Hochschulgebäude aus sieht er die Dampfer auf dem Vierwaldstättersee wegfahren. Die Kulisse ist einzigartig.
„Dass Junge wie im Kanton Uri wegziehen und neue Erfahrungen machen wollen, das war schon immer so“, bemerkt Müller.
Aber seiner Ansicht nach geht die Rechnung nicht auf, wenn in fünf Jahren 238 hochqualifizierte Arbeitskräfte wegziehen – und das bei 2900
hochqualifizierten Personen. „Ein Absolvent einer Hochschule kostet den Kanton Uri zwischen Fünfzigtausend bis Zweihunderttausend Franken.
Wegen der Abwanderung, ‚Brain Drain’ genannt, bekommt der Kanton zu wenig zurück.“
Ein wichtiges Projekt initiiert
Seit Jahren befasst sich Müller mit Problem rund um die Abwanderung und hatte die Idee, die Abwanderung aus der Zentralschweiz auf breiter Ebene zu
untersuchen. Das Projekt wird von Colette Peter, Hochschule für Soziale Arbeit HSA und Stefan Rieder, Interface, Institut für Politstudien, geleitet. Erfasst
dabei wird die Zeitspanne 2003 bis 2007. Müller: „Die Analyse ist bereits abgeschlossen, die Gespräche mit Behörden, Unternehmen und
hochqualifizierten Arbeitskräften sind beendet und waren sehr aufschlussreich. Es ist unser Anliegen, die Ressourcen in der Region zu nutzen.“
Müller betont, dass das Projekt partizipativ ist. Zusammen mit Behörden, Interessenvertretungen und natürlich auch betroffenen Urnerinnen und Urner
wurde ein Massnahmen-Katalog gegen die Abwanderung entwickelt und mit den beteiligten Gremien abgesprochen. Müller: „Die Vernetzung mit
Internet-Plattform und Datenbank läuft an und wird nächstes Jahr abgeschlossen.“ Geplant sei eine Unternehmensschulung und eine Imagekampagne
nach aussen und innen.
Kluge Köpfe erhalten
Bis anhin verlor der Kanton Uri pro Fünfjahresperiode der Kanton Uri 8 Prozent hochqualifizierte Arbeitskräfte. 50 Prozent wandern ab in die Zentralschweiz,
30 Prozent in die übrigen Schweiz und 20 Prozent in den Wirtschaftsraum Zürich.
Nach Ansicht von Müller ist das Problem ziemlich komplex: „Es ist nicht nur so, dass aufgrund fehlender Arbeitplätze mehr hochqualifizierte Personen aus
Uri ab- als zuwandern. Auf der andern Seite können Unternehmen offene Arbeitsplätze für Hochqualifizierte nicht besetzten. Hier ist der Hebel anzusetzen.“
Müller zitiert gern aus dem Vorwort von Hugo Lötschers Buch „Lesen statt klettern“ die Passage: „Wir werden nicht mit Wurzeln, sondern mit Füssen geboren.
Sie verleihen die Freiheit, von dort wegzugehen, wo man zufälligerweise auf die Welt gekommen ist.“ Damit plädiert er für eine Balance zwischen Bleiben und
Gehen, zwischen Heimat und Fremde, zwischen Wegziehen und Zurückkehren.