Leidenschaft für Streitkultur
Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch, Rechtsanwalt, unterstützt den Vorstand des KVZ in Rechtsfragen. An der Universität Zürich hat er
einen Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozesse und strafrechtliche Hilfswissenschaften.
Helen Busslinger-Simmen
„Schon immer habe ich gern diskutiert, debattiert, gestritten – Eltern und Lehrer waren bevorzugte Ansprechpartner“, erinnert sich Jositsch. Zweifelsohne ist er
ein brillanter Redner und bringt die Sache rasch auf den Punkt. „In jeder Gemeinschaft gibt es Konflikte, die Frage ist, ob und wie sie ausgetragen werden“, betont
der Befürworter einer angemessenen Streitkultur. Kein Wunder, war er als Student in St. Gallen Vizepräsident der Studentenorganisation, zudem war er
schon früh politisch interessiert.
Geben und Nehmen
Zum KVZ kam Jositsch durch seine Kontakte mit der Rechtsabteilung, als er in den 90er Jahren bei Gleichstellungsfragen vom Knowhow der Fachleute
KVZ profitierten konnte. In Zusammenhang mit seinem ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühl sagte sich Jositsch: Wenn ich schon vom KVZ profitiere, werde ich
auch Mitglied. Als er dann las, dass Vorstandsmitglieder gesucht wurden, meldete er sich.
Als Schulpräsident der Gemeinde Stäfa hat Jositsch – wie er mit einem Lächeln sagt – 1400 Kinder. Zusammen mit der Schulpflege ist er für Organisation
und Aufsicht über den Betrieb der ganzen Schule zuständig. Jositsch ist der Ansicht, dass sich im schweizerischen Milizprinzip alle irgendwo für die
Allgemeinheit engagieren sollten.
Unerschütterlicher Glaube an das Rechtssystem
Daniel Jositsch: „Unser Rechtssystem ist eine der Säulen unserer Gesellschaft, dabei geht es um Gerechtigkeit und um nichts anderes.“ Jositsch hat selbst
erlebt, wie es herauskommt, wenn jede und jeder bestechlich ist, wenn demokratische Rechte missbraucht werden oder gar nicht existieren. Vier Jahre lebte
er in Bogota in Kolumbien, wo er Geschäftsführer der Schweizer Handelskammer war. „Das Leben in Ländern, wo Korruption vorherrscht, ist äußerst
anstrengend, weil man sich eigentlich auf nichts verlassen kann. Schon gar nicht auf die Polizei“, bemerkt er.
Jositsch nimmt neben seiner Tätigkeit an der Uni mit Vorlesungen, Studentenkontakten und Forschungsarbeiten Aufgaben als Strafverteidiger wahr. Er ist
sich bewusst, dass gegenüber Strafverteidigern zahlreiche Vorurteile herrschen: „Man hält uns für wortgewandte Zauberer, die Verbrecher aus dem
Gefängnis herausboxen und unterstellt uns, dass wir verhindern, dass Kriminelle ihrer gerechten Strafe zugeführt werden.“ Strafverteidiger betrachte man
oft als Stolpersteine auf dem Weg zur Gerechtigkeit.
Garanten für faires Strafverfahren
„Wir Strafverteidiger sind Garanten für Gerechtigkeit“, sagt Jositsch. Denn ohne Verteidiger würde der meistens rechtsunkundige Beschuldigte allein dem
erfahrenen und überlegenen Staatsanwalt gegenüber stehen. Indem dem Beschuldigten ein Verteidiger zur Seite gestellt wird, erhält er die fachliche
Unterstützung. Kann er sich einen Anwalt nicht leisten, so erhält er bei schwerwiegenderen Delikten einen amtlichen Verteidiger. Damit besteht die Garantie,
dass alles mit rechten Dingen zugeht.
Von Diebstahl bis zu Mord
Jositsch hat als Strafverteidiger mit unterschiedlichen Straftaten zu tun, es geht von Diebstahl über Drogenhandel bis zu Mord. Er sieht seine Aufgabe in
einem grösseren Zusammenhang: “Der Verteidiger ist Teil des rechtsstaatlichen Verfahrens und verteidigt aus meiner Sicht nicht primär den Angeklagten,
sondern das faire und gerechte Verfahren an und für sich.“ So gesehen ist klar, dass Sieg oder Niederlage des Verteidigers nicht von Verurteilung oder
Freispruch abhängen; wichtiger ist, dass alles im Sinne eines rechtsstaatlichen Verfahrens erfolgt. Jositsch: „Hat der Strafverteidiger dieses Bewusstsein, dann ist
es ihm möglich, den Beschuldigten in jedem Fall optimal zu verteidigen. Er kann dies nämlich auch dann, wenn er selbst - und das ist natürlich meistens der
Fall - kein Verständnis für die Tat oder den Täter aufbringt und persönlich von der Notwendigkeit einer Verurteilung überzeugt ist.“
Menschlichkeit an erster Stelle
Auch der schwerste Verbrecher soll erfahren, dass die Gesellschaft sich an die Gesetze hält, auch wenn er sich ihr gegenüber nicht daran gehalten hat.
Jositsch: „Pathetisch ausgedrückt spielt der Strafverteidiger im Rahmen des Triumphes der Kultur und Gerechtigkeit gegenüber dem Verbrechen die
bedeutendste und ehrenhafteste Rolle.“
Wenn der Beschuldigte die Tat bestreitet, ist es die Aufgabe des Strafverteidigers, die Anklage gewissermaßen einem Elchtest zu unterziehen. Er muss
alles Erdenkliche vorbringen, was die Unschuld seines Mandanten beweisen oder Zweifel an dieser wachrufen könnte. Nur wenn die Anklage diesen Test
übersteht, wenn sie trotz aller Bemühungen des Verteidigers eine lückenlose Beweiskette vorzulegen vermag, sind in einem Rechtsstaat die Voraussetzungen
für eine Verurteilung erfüllt.
Jositsch: „Steht die Schuld des Täters fest, dann ist es die Aufgabe des Verteidigers, alle Argumente für eine möglichst milde Bestrafung des Täters anzuführen.“
Auch hier geht es darum, dass die Waffengleichheit hergestellt ist. Währenddem der Ankläger ein düsteres Bild vom Angeklagten und von seiner Schuld zeichnet
und in der Regel eine eher hohe Strafe fordert, muss der Verteidiger ebenso engagiert wie der Ankläger Gegensteuer geben und alles Entlastende vorbringen.
So wird gewährleistet, dass der Angeklagte nicht zu kurz kommt.“
Professionelle Distanz
Dass ein Strafverteidiger zum Gechehen eine gesunde Distanz beibehalten muss, ist für Jositsch klar. Er sagt: „Als Verteidiger sehe ich hinter die Kulissen
und hinter den schönen Schein, ich lerne Seiten des Lebens kennen, die man sonst nicht sieht“, stellt Jositsch fest. Klar ist, dass in der Regel eine
strafrechtliche Verurteilung ein heftiger Eingriff in das Leben des Betroffenen bedeutet: Er wird verurteilt, muss eine Busse bezahlen oder eine Freiheitsstrafe
absitzen. Dazu kommen je nachdem Fahrausweisentzug, Landesverweisung etc. Die Verurteilung zieht außerdem einen Eintrag ins Strafregister nach
sich.
Jositsch betont, dass angesichts dieser gravierenden Folgen für den Verurteilten der Gesetzgeber entschieden hat, dass es nur dann zu einer Bestrafung
kommen soll, wenn die Schuld des Angeklagten einwandfrei bewiesen ist. „Gelingt dieser Beweis nicht“, so Jositsch, „besteht ein ernsthafter Zweifel an der
Schuld des Täters, so hat der Gesetzgeber in Kauf genommen, dass in Ausnahmefällen hin und wieder ein Schuldiger ungeschoren davon kommt. Damit wird
aber umgekehrt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unschuldiger verurteilt wird, massiv gesenkt.“
Spielregeln der Gesellschaft
„Das Wissen um die Existenz unabhängigen Strafverteidigung gibt der Bevölkerung das Vertrauen, dass alles getan wird, um zu verhindern, dass
Unschuldige verurteilt werden“, so Jositsch. Jeder von uns kann in ein Strafverfahren involviert werden und ist dann darauf angewiesen, dass ein Verteidiger
ohne Wenn und Aber die Interessen des Beschudligeten wahrnimmt. Auf der anderen Seite wird den Verurteilten von der Gesellschaft das vorgelebt, was
bei ihnen vermisst wird: das Einhalten der Spielregeln.