Kulturpreisträgern über die Schulter geschaut
Dietikon Limmattalk mit Kulturpreisträgern Doris und Peter Walser
Doris und Peter Walser zeigten, wie sie bei ihrer Forschungsarbeit Texte lesen, interpretieren und Querverbindungen herstellen.
Zudem stellten sie sich den Fragen von Helene Arnet und regten ihre Gäste zu lustvollen philosophischen Gesprächen an.
Helen Busslinger-Simmen
Dass Doris und Peter Walser bis zur Pensionierung als Gymilehrer gewirkt haben, war am gut besuchten Limmattalk gleich zu merken. Methodisch gut
durchdacht gaben sie Einblick in ihr Schaffen, indem sie Einträge aus einem so genannten „Stammbuch“, einem Erinnerungsbuch aus
dem 18. Jahrhundert, vorstellten. So blickten die Gäste sozusagen in die Schreibstube und Forschungsstätte des Dietiker Ehepaars.
Verborgene Geschichten
Doris und Peter Walser zeigten, was Persönlichkeiten wie der Schweizer Historiker Johannes Müller, die Dichterin Friederike Brun und andere Zeitgenossen
dem deutschen Dichter Friedrich von Matthisson schrieben. Die Gäste sahen an den auf die Leinwand projizierten Texten die Vielfalt der Schriften und
Schreibstile und ahnten, wie viele Geschichten und Schicksale hinter den Texten verborgen sind. Was man bei genauem Betrachten und mit etwas
Vorstellungskraft einem solchen „Stammbuch“ entnehmen konnte, war verblüffend.
Peter und Doris Walser kommentierten die aufgeschriebenen Lebensweisheiten und Zeichen von Freundschaft und wiesen auf die würdevolle Sprache
und die grosse Vielfalt hin. Dabei kam nicht nur eine Goldgrube von Geschichten ans Tageslicht, Peter Walser machte Querverbindungen zur Geschichte
des 18. Jahrhunderts, sodass das Zuhören ein Genuss war.
Dass Doris Walser wohl ein Sprachgenie ist, erlebte man, als sie fliessend einen russischen Eintrag las. Auffällig in den vorgelesenen Texten war die
gefühlvolle Sprache, der grosse Respekt für das Gegenüber. Das werde heute als „Sentimentalität“ abgetan, bemerkte Peter Walser.
Begeisterung für einen Liberalen der ersten Stunde
Walsers seien wohl schon oft gefragt worden, warum sie ihre gesamte Zeit der Herausgabe von Bonstettens Briefen und Schriften widmen würden, bemerkte
Helene Arnet. „Wir sind fasziniert von der Weltoffenheit des Politikers, einem ‚Liberalen der ersten Stunde’, der durch Europa reiste, für eine weltoffene Schweiz
eintrat, über ein weit reichendes Beziehungsnetz verfügte und ein Vordenker und Kulturvermittler war“, so Peter Walser.
Ob das zeitaufwändige Zusammentragen und Edieren von alten Schriften „zeitgemäss“ sei, wollte Helene Arnet wissen. „Wir müssen wieder zu den Wurzeln
unserer Kultur zurückgehen, ohne Wurzeln kann nichts wachsen. Deshalb geben wir Vergangenem eine Stimme’“, bemerkte Walser und fügte bei, sie sähen
es als ihre Aufgabe an, der Nachwelt das Werk von Bonstetten zu erhalten.
Gefühlvoll gepflegte Netzwerke
Helene Arnet nahm die Frage auf, die ihm Raum stand: „Gibt es heute noch so sorgfältig gepflegte Beziehungsnetze, über Kulturgrenzen hinweg, wie in
einem ‚Stammbuch’ und in den Werken von Bonstetten? Ist unsere Sprache verlottert? Erleben wir einen Kulturzerfall“? Wir befänden uns jetzt in einer
Art Übergangsphase, einer geschichtslosen Zeit, betonte Peter Walser und fügte schmunzelnd bei: „Plattitüden hat es schon immer gegeben.“ Seine Frau
erwähnte, wie langsam und mühevoll es damals war, über die Grenzen hinweg Freundschaften zu pflegen und Netzwerke aufzubauen – dieser Mühe könne
man wohl auch heute nicht ausweichen.
Dass das Schaffen des Dietiker Ehepaars etwas auslöst, zeigte sich bei den nachfolgenden Gesprächen der Gäste, die ihrerseits zu philosophieren anfingen.
Über eines war man sich einig: Es war wieder ein „Limmattalk“ von grosser Spannung und Aktualität.
Zur Hompage von Karl Viktor von Bonstetten