Palast im Engadiner Paradies.
Der Name „Badrutt’s Palace“, der mit goldenen Buchstaben auf einem Schild am Portal des Hotels steht, lockt und ruft: Komm ins Haus der Schönen und Reichen, komm dahin, wo du inmitten von auserlesenen Kostbarkeiten den lieblichsten See und die schönsten Berge anschauen kannst. Das Portal des Palastes öffnet sich wie von selbst, denn noch gehört das Hotel, das sich im Umbau befindet, den Bauarbeitern und den Neugierigen. Nicht mehr lange, bald werden nur noch die Auserwählten Zutritt haben. Der Name „Badrutt“ hat in St. Moritz besonderen Klang; die Hoteldynastie brachte dem Bergdorf Wohlstand. Besonders Andrea Badrutt, der inzwischen gestorben ist, lockte mit umwerfenden Ideen und unnachahmlichen Geschick die Berühmtesten der Welt hierher. Nicht zu vergessen, dass die Dynastie den Hotelbetrieb unbeschadet durch zwei Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise geführt hat. Allerdings gehört vieles, was über die Familie Badrutt erzählt wird, in den Bereich Legenden. Der Hoteldirektor dirigiert von einem winzigen Büro aus den Umbau des Palastes. Der vierschrötige Freiburger, der in Amerika und Asien als Manager von Luxushotels tätig war, hat sich von der Schweizer Mundart entfernt, gebraucht Amerikanismen und geniesst das. Gerade wegen den Legenden sei er hier, voll auf Erfolgskurs, das Hotel sei ausgebucht, „no problems at all.“ Fasel will den Erfolg, und zwar ganz und gar. Als Manager sorge er für das, was die Reichen haben wollen: die besten Leckerbissen der Welt, die aufregendsten Events. Er zögere auch nicht, als Attraktion eine Eisfläche in einen der Säle zu montieren, damit beim Dinner Eisläuferinnen ihre Künste zeigen können. Die Badtrutts hätten die Kunst der Gastfreundschaft noch beherrscht, schwärmt die Verkäuferin in der Boutique nebenan. Diese „begabten Gastgeber“ hätten zwar Beziehungen zu den Berühmten der Welt gepflegt, aber nie Bücklinge vor ihnen gemacht. Etwas von solidem Bündnerstolz leuchtet aus den Augen der Frau. In der Eingangshalle steht eine Madonnenstatue, sie scheint mit einem Auge leicht zu zwinkern. Nicht ohne Grund: Die Grossen der Welt sind an ihr vorbeigegangen, Schriftsteller, Filmstars, Musiker, Industrielle, die meisten sind tot. Aber sie steht noch da, lieblich, sie wird hier bleiben und ungerührt das Leben und Treiben beobachten. Ein Elektriker stapft mit einer Leiter an der Madonna vorbei, für ihn der Job im Palace eine Arbeit wie jede andere, nur kniffliger und komplizierter. Eigentlich müsste er die Baupläne des Hotels im Kopf haben, um die Leitungen richtig zu legen, aber die Pläne sind nicht vollständig. Ein Fliesenleger schleppt eine Granitplatte, schaut sich kurz um und verrät, dass beim Umbau gar nicht die teuersten Materialien verwendet würden, er habe auch schon goldene Fliesen gelegt. Von luxuriösen Badezimmern aus ist die berühmte Bergkette mit Piz Rosatsch, Piz Mezdi und Ova Cotschna zu sehen. Aber nicht nur hier! Überall schauen die Berge zu den Fenstern herein, diese Ewigen, mit Eis und Schnee Überzuckerten, dazu der See, glitzernd im Licht des Engadins. Die Vorhänge in der Suite bauschen sich im Wind, die sorgfältig abgestimmten Farbnuancen springen in die Augen: Das Grau der alten Mauern, die kostbaren Holzlegearbeiten, Stuckaturen, Marmorböden und Spiegel, die Wände in Eierschalenweiss, dazu teure Teppiche. Der Spiegel erzählt von der Schönheit von Caroline von Monaco, greift zurück zum Porzellangesicht von Marlene Dieterich, schildert das Temperament von Ivana Trumpp und verstummt. „Wir müssen mit der Zeit gehen“, sagt die Verkäuferin in der Boutique. Man rätsle im Dorf, wie die Zukunft des Märchenschlosses aussehen könnte, nur Zeiten kämen nur Neureiche, die nie lange bleiben. „Aber wenn die Welt sich verändert, verändert sich auch das ’Palace’“, sagt die Bündnerin. Trotz der vielen Gedanken, die ihr durch den Kopf gehen, freut sie sich auf die Eröffnung des Hotels und ist gespannt, wer dann ihren Laden betreten wird. Der Hoteldirektor spricht wie einer, der gewohnt ist, dass seine Befehle sofort ausgeführt werden. Er lässt durchblicken, dass seine Aufgabe kein Zuckerschlecken ist. Wer für eine Übernachtung um die tausend Franken bezahle, habe grosse Erwartungen: „Wenn etwas nicht stimmt, wenden sich die Gäste nicht an den Kellner oder das Zimmermädchen, sondern an den Manager, sie können dabei grob werden.“ Zwischendurch spricht der Direktor in sein Handy, dann erzählt er, dass die Hunde, welche die Gäste mitbringen, das beste Futter, Teppiche mit dem Hundenamen und Laufbänder für ihre Fitness bekämen. Beim Portal, fährt ein Lastwagen vor, Maschinen dröhnen, der Umbau ist voll im Gang, matt leuchten die goldenen Buchstaben „Badrutt’s Palace“ in der Morgensonne. Der Fliesenleger kommt vorbei und meint gut gelaunt: „Das Haus wird exquisit, der ‚alte Kasten’ gefällt mir, auch wenn ich keine Übernachtung bezahlen könnte.“ Glücklicherweise sind Berge und See gratis. Der Arbeiter macht mit den Armen weite Bögen durch die Luft und sagt, für einen, der aus dem Unterland nach St. Moritz komme, sei nicht das Palace das Paradies, sondern das ganze Tal.