Uri von aussen gesehen
Folgende Porträts sind in der
Neuen Urner Zeitung erschienen:
«Die Kinder brauchen Mythen»
Der Liedermacher Linard Bardill hat ein Kindermusical zur Tellsgeschichte verfasst. Für ihn ist die Kraft dieses Dramas ungebrochen.
Helen Busslinger-Simmen
Linard Bardill, was hat Sie bewogen, die Tellsgeschichte für Kinder aufzuarbeiten?
Bardill: Die Liebe zu unserem Land, zu den Kindern, zu unserer Geschichte, zu unseren Mythen. Dann der Zorn, die Ungerechtigkeit und die Arroganz,
die in der Schweiz auch herrschen. Der Mythos Tell hat viel Aussagekraft.
Schiller hat das Drama vor rund 100 Jahren geschrieben.
Bardill: Natürlich muss man es auf die heutige Zeit übertragen. Das Grossmaul Gessler sind heute die Banken und Multis, die Filzbanden, die
unser Land zu Boden schlagen. Für ein Kind ist es vielleicht ein Älterer, der es mobbt. Aber überall ist der Anarchist Tell ein Vorbild. Er akzeptiert die
Grossmäuler nicht.
Sie sind im Bündnerland mit seinen Sagen und Mythen aufgewachsen. Ist das die Quelle, von der Sie schöpfen?
Bardill: Meine Urgrossmutter erzählte mir viele Geschichten. Auch im Religionsunterricht wurden biblische Geschichten bildhaft und bunt erzählt.
Kinder brauchen Geschichten, Märchen und Mythen.
Sie sind im vergangenen Jahr in Altdorf aufgetreten, zum 70-Jahr-Jubiläum von Blauring. Wie haben Sie die Urner Blauringmädchen erlebt?
Bardill: Wie es halt so ist bei der bündischen Jugendbewegung. Da gibt es eine wunderbare Aufhebung des Konkurrenzdrucks zwischen Buben und
Mädchen, zwischen kleineren Kindern und grossen. Da gibt es einen latent vorhandenen ideologischen oder religiösen Überbau. Das merkt man
den Kindern und Jugendlichen an. Ich will das nicht werten.
Was ist Ihnen beim Auftritt in Altdorf aufgefallen?
Bardill: Ich empfand die Zusammenarbeit mit den Mädchen als äusserst angenehm und entspannt. Ich selbst war Jahre im Christlichen Verein Junger
Menschen (CVJM) tätig. Dort habe ich genau diese Lockerheit und Resistenz gegen Modezickerei und Angeberei mit hippem Konsumkram,
die Altersdurchmischung, die Solidarität von Gruppenleitern und Kindern erlebt. Auch der Geschlechtertrennung kann ich Positives abgewinnen.
Ich weiss, das klingt wahnsinnig altmodisch. Ist es aber vielleicht nicht. Es geht ja nicht darum, alle Schulen und Institutionen geschlechtergetrennt
zu führen. Aber die Möglichkeit, dass Jungs und Mädchen unter sich sind, kann etwas enorm Schönes und Kreatives haben.
Sie haben unzählige beliebte Kinderplatten herausgegeben. Was ist Ihr Antrieb?
Bardill: Die Liebe. Für alles. Ich habe ein Kind mit Down-Syndrom. 95 Prozent dieser Kinder werden abgetrieben. Wir waren privilegiert, dass der Arzt im
Ultraschall nicht sah, dass das Kind behindert sein würde. So kam es zur Welt, wir haben es lieben gelernt. Meine Lieder sind irgendwo immer aus
dem Impuls heraus entstanden, dass die Welt ein guter Stern ist. Darum lohnt es sich auch, für diese Erde einzustehen, ein grosses Ja und auch immer
wieder ein klares Nein zu formulieren.
Sie sind in den Bündner Bergen aufgewachsen. Wie beeinflusst das Leben in den Bergen ein Kind?
Bardill: Im guten Fall kommt es mit der Natur in Verbindung. Es lernt, was ein Baum ist, ein Berg, ein Stein. Lernt die Blumen kennen, den Wald, den
Schnee. Das ist der Anfang der Weisheit. Die Sinne sind unser grösstes Kapital. Sie zeigen uns, dass der Geist und die Materie eins sind. Im
schlechten Fall kommt das Kind in verknorzte, verbitterte, kleinkarierte Verhältnisse. Wo die Gier und die Missgunst die Peitsche schwingen.
Was gefällt Ihnen an Uri, was nicht?
Bardill: Mir gefällt der Urnerboden, er hat mich sehr beeindruckt. Mir gefällt der tanzende Landammann nach der Annahme der Alpeninitiative, die
Fähigkeit zu leben und überleben in diesem Kanton, der so viel am Gemeinwohl und -unwohl zu tragen hat. Ich wünschte mir Uri aber kompromissloser,
was die Umsetzung der Alpeninitiative angeht. Da sind die bürgerlichen Politiker viel zu sehr «Sauhäfeli-Sauteckeli» mit der Verkehrslobby. Da müsste
wieder mal der Tell dazwischen, und zwar zünftig.