Uri von aussen gesehen

Folgende Porträts sind in der
Neuen Urner Zeitung erschienen:

Allan Guggenbühl

«In Uri werden die Jungen rechtzeitig ins Leben ‹gestellt›»

«Junge Urner verzichten auf Zwischenjahre und Praktika» , sagt Allan Guggenbühl. «Dadurch geraten sie nicht in ein Vakuum.»

Helen Busslinger-Simmen
Allan Guggenbühl, Kenner der Schweizer Jugend und Leiter des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich, war schon mehrmals im Kanton Uri. Der renommierte 61-jährige Psychotherapeut erzählt, wie er die jungen Urner erlebt hat und was ihm dabei aufgefallen ist.

Allan Guggenbühl, haben Sie frappante Unterschiede zwischen den Urner Jugendlichen und der Stadtjugend festgestellt?

Allan Guggenbühl: Die Stadtjugend ist durchmischter. Die unterschiedliche Herkunft aus vielen Ländern, andere Familienstrukturen, kulturelle Interessen sind prägend. In der Stadt organisieren sich viele Jugendliche in Untergruppen, zum Teil ethnisch ausgerichtet, zum Teil nach Interessen. Diese Gruppierungen sind bestrebt, sich zu unterscheiden: Sie kleiden sich anders, pflegen einen je eigenen Jargon. Die Urner Jugend machte mir einen anderen Eindruck: Die Jugendszene ist weniger durchmischt, die Jungen wachsen in ähnlichen Milieus auf und fühlen sich miteinander verbunden.

Haben die Jugendlichen Mühe mit ihrem Heimatkanton?

Guggenbühl: Ich hatte einen anderen Eindruck. Die meisten sind stolz auf ihren Kanton und darauf, Innerschweizer zu sein. Sie grenzen sich von den Kollegen aus städtischen Gebieten ab.

Was ist Ihnen weiter aufgefallen?

Guggenbühl: Mir fiel die Bedeutung des Familiennamens auf. Da der Kanton Uri nicht gross ist, spielt die Familienzugehörigkeit eine bedeutende Rolle. Dies kann ein Vorteil oder Nachteil sein. Hat die Familie einen schlechten Ruf, dann wird man entsprechend beurteilt. Wird die Familie geachtet, dann profitiert man vom Ruf.

Wie gestaltet sich hier die Ablösung von den Eltern?

Guggenbühl: Nach meinen Beobachtungen findet in Uri die Ablösung etwas später statt als in städtischen Wohngebieten. Die Jungen leben eher mindestens bis zum Lehrabschluss oder bis zur Volljährigkeit zu Hause. Ich beobachtete auch, dass sich die Jugendlichen stärker als in der Stadt mit den Eltern identifizieren.

Welche Berufsaussichten sieht Uris Jugend vor sich?

Guggenbühl: Die Lehre spielt eine grosse Rolle. In Uris eher überschaubaren Betrieben bekommen sie denn auch Möglichkeiten zur Bewährung und sogar zur Mitsprache.

Wie steht es mit den Treffpunkten für Jugendliche?

Guggenbühl: Gesellige Aktivitäten mit Gleichaltrigen haben klar Priorität im Leben der Urner Jugendlichen. Sie haben ihre Treffpunkte irgendwo im Freien, oder sie finden mit viel Fantasie einen geschützten Ort. Der Sport spielt wie überall eine grosse Rolle: Das eigene Körpergefühl, das man beim Skifahren und Biken unter Beweis stellen kann, hat hohen Stellenwert. Glücklicherweise sind ja in Uri die Sportmöglichkeiten sozusagen vor der Haustüre.

Bekamen Sie ein positives Bild von Urner Jugendlichen?

Guggenbühl: Durchaus. Hier werden die Jungen rechtzeitig ins Leben «gestellt», nach Schulabschluss wird zur Berufswahl geschritten. Da können die Jugendlichen zeigen, was in ihnen steckt, und sie werden gefordert. Das kann nur gut tun. Weil sie nach der Schule eher auf Zwischenjahre und Praktika verzichten, geraten sie nicht in das Vakuum, wie es bei der Stadtjugend oft der Fall ist. Mit Vakuum meine ich das Herumexperimentieren, den Job hier und dort, die verschiedenen Praktika. In den Städten gibt es viele Jugendliche, die in einem ewigen Provisorium leben, der Eintritt ins Leben wird aufgeschoben.

Sie raten, Jugendliche möglichst bald ins Leben zu werfen?

Guggenbühl: Die Jungen wollen beweisen, dass sie etwas können. Es ist von Vorteil, wenn sie auch mit den Härten des Lebens konfrontiert werden. Sie leben nicht in einer abgeschotteten Welt, sondern erleben die Hochs und Tiefs des Lebens und werden früher reif.